Samstag, 14. Januar 2012

[Rezension] ► Joanne Harris - Fünf Viertel einer Orange



Originaltitel: Five Quarters Of The Orange
Erscheinungsjahr: 2002 (Ullstein)
Preis: 8,95€ (Taschenbuch)
Seiten: 407
Reihe: -
Erster Satz: "Als meine Mutter starb, hinterließ sie meinem Bruder Cassis den Hof, meiner Schwester Reine-Claude die Kostbarkeiten des Weinkellers und mir, der Jüngsten, ihre Kladde sowie ein Zwei-Liter-Glas mit Sonnenblumenöl, in dem ein schwarzer Périgord-Trüffel von der Größe eines Tennisballs schwamm."
Kurzbeschreibung

Als Framboise mit Anfang fünfzig in ihre Heimat zurückkehrt, wird ihr erneut bewusst, dass sie dort bereits als Kind eine Außenseiterin gewesen war. Doch sie will es jetzt noch einmal wissen: Mit den Rezepten aus dem Buch ihrer Mutter gewappnet eröffnet sie in dem kleinen Ort eine Creperie. Ihr Neffe Yannick gönnt ihr jedoch den Erfolg nicht und versucht, sie um die geheimen Rezepte zu erpressen. Da beschließt Framboise die Geschichte ihrer Kindheit zu erzählen- auch, um jenen dunklen Geschichten etwas entgegenzusetzen, die sich seit damals um das Leben ihrer Mutter ranken: Denn warum wurde sie des Mordes an dem Deutschen Tomas verdächtigt, mit dem sich die ganze Familie angefreundet hatte, damals im Krieg? Und warum weigern sich die Dorfbewohner bis heute, die Wahrheit zu erkennen?
Framboise wird nur zu bald klar, dass in dem kleinen französischen Dorf an der Loire Kleingeist und Missgunst ihr Unwesen treiben...

Rezension

Es gibt Bücher, an die ich aus welchen Gründen auch immer hohe Erwartungen habe. Und dann gibt es jene, die mich völlig unvorbereitet treffen und aus dem Nichts heraus begeistern. Und genau so ein Werk ist "Fünf Viertel einer Orange" . Ich habe schon die Chocolat-Bücher der Autorin mit viel Freude gelesen, aber das hier ist im besten Sinne noch einmal etwas ganz Anderes.
Für Spaß am Buch muss einem jedoch zunächst einmal Joanne Harris Schreibstil liegen, denn der ist sicher nicht jedermanns Sache. Die Geschichte lebt von Beschreibungen, von zwischen den Zeilen klingender Atmosphäre und von einer Grundstimmung, die für mich nur schwer in Worte fassbar ist. Wen Frau Harris Wortwahl nicht davonträgt und all die Sinneseindrücke, Gefühle und Persönlichkeiten wahrnehmen lässt, der wird sich hier vielleicht schwer tun und ich kann eine Leseprobe nur empfehlen. Denn auf den Kern der Handlung reduziert, ist dieses Buch nichts nie da Gewesenes. Weder inhaltlich, noch in Sachen Knalleffekten erfindet Frau Harris das Rad neu und trotzdem hat mich ihr Werk eingesaugt, wie das manch selbst ernannter Actionthriller nicht geschafft hat. Die Geschichte wird aus der Sicht der Französin Framboise erzählt und allein schon durch den Aufbau der Erzählung schafft Frau Harris Spannung. Abwechselnd erfährt man von den prägenden Ereignissen in Framboises Jugend und ihrer Gegenwart und nur Stück für Stück kommt man dabei hinter ihr Geheimnis. Hier ist auch die Kurzbeschreibung meiner Meinung nach etwas irreführend. Dieses Buch ist keine fröhliche Familiengeschichte mit einem überraschenden Mord, der Jahre später aufgeklärt werden will. Vielmehr bekommt man einen Einblick in den Zweiten Weltkrieg jenseits der Schlachtfelder und auch Framboises Familiensituation ist, ohne zu viel verraten zu wollen, ungewöhnlich. Das ist gerade deshalb so spannend, weil man als Leser auch aktuelle Geschehnisse kennt und weiß, dss damals etwas passiert sein muss, dass alles verändert hat. Und das jetzt wieder Einzug in Framboises Leben hält. Beide Geschichten lesen sich toll und werden von der Autorin durch die geerbte Kladde gut miteinander verknüpft. Man liest eigentlich nicht von zwei Handlungen, sondern folgt einer Geschichte zu verschiedenen Zeiten. Und vor allem liest und leidet man mit Framboise mit. Ich weiß nicht, was diese französischen Autorinnen an sich haben, dass mich ihre Hauptdarstellerinnen so faszinieren. Aber Framboise ist einfach ein großartiger Charakter! Sie ist eigenwillig, ungewöhnlich und schwierig. Und dann auch wieder weich, liebevoll und voller Charme. Sie hat nicht nur grobe Konturen, die bei genauerem Hinsehen schnell verblassen, sondern eine Persönlichkeit, die alleine schon ein Buch füllen könnte.
Die einzige Schwierigkeit bei diesem Buch ist, seinen Zauber in Worte zu fassen. Ich denke es ist ein Fall von "Liebe auf die erste Seite" oder "Einmal und nie wieder". Für mich hat jede Zeile vibriert und ich konnte das Buch auch angesichts von Wind und Wetter an Bahnhaltestellen kaum aus der Hand legen. So eigenwillig "Fünf Viertel einer Orange" auch sein mag, kann ich nur jedem empfehlen, ihm eine Chance zu geben!

Fazit

Dieses Buch hat Charakter! Es ist wie mit dem Käse: wer auch Sorten abseits des milden, leicht bekömmlichen Goudas zu schätzen weiß, für den könnte "Fünf Viertel einer Orange" schnell zur Geschmacksexplosion werden.

Inhalt: ♥♥♥♥ || Atmosphäre: ♥♥♥♥♥ || Charaktere: ♥♥♥♥
Sprache: ♥♥♥♥♥ || Aufmachung: ♥♥♥♥
Lesespaß: ♥♥♥♥♥

14.01.2012

3 Kommentare:

  1. Wow, dein Blog ist echt total schön strukturiert und deine Rezensionen total ausführlich! Auch dass es immer Extra-Herzen gibt ist genial! :D
    Bon gleich mal Leser geworden!
    LG
    Livi

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  2. Im BuecherTreff habe ich es bereits geschrieben, aber auch gerne hier noch mal: Großartige Rezension! Und dein Blog gefällt mir auch super! Hier lese ich gerne regelmäßig.

    Viele Grüße,

    gaensebluemche

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  3. @gaensebluemche:
    Dann auch hier noch einmal: Vielen Dank :) Ich bin wirklich gespannt, ob dich das Buch überzeugen kann. Würde mich sehr über Rückmeldung freuen, wenn du es gelesen hast.
    Viele Grüße zurück!

    @Olivia:
    Awh, dankeschön! Bei so viel Lob werde ich ganz verlegen :D

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