Mittwoch, 29. Juni 2011

[Rezension] ► Chevy Stevens - Still Missing: Kein Entkommen



Still Missing - Kein EntkommenOriginaltitel: Still Missing
Erscheinungsjahr: 2011 (Fischer)
Preis: 8,99€ (Taschenbuch)
Seiten: 413
Reihe: -
Erster Satz: Wissen Sie, Doc, Sie sind nicht die erste Therapietante, der ich gegenübersitze, seit ich wieder zu Hause bin.
Klapptext

Ein ganz normaler Tag, ein ganz normaler Kunde mit einem freundlichen Lächeln. Doch im nächsten Moment liegt die junge Maklerin Annie O Sullivan betäubt und gefesselt in einem Lastwagen. Als sie erwacht, findet sie sich in einer abgelegenen, schallisolierten Blockhütte wieder. Ihr Entführer übt die absolute Kontrolle über sie aus. Ein endloser Albtraum beginnt, hinter dem ein noch schlimmerer auf sie wartet...

Rezension

Eigentlich wäre dieses Buch auf meiner "Kampf dem SUB"-Prioritätsliste nicht ganz so weit oben gestanden. Aber wenn man (es war ein Geburtstagsgeschenk meines "Ich schenke dir ein Buch!!"-Nichtleser-Freundes) regelmäßig mit großen, treuherzigen und ziemlich erwartungsvollen Augen angesehen wird, was will man machen? Also ab auf den Mini-SUB damit, zumal ich den Klapptext sehr interessant fand.

Die Geschichte wird aus Sicht der Maklerin Annie erzählt, die Opfer einer Entführung wurde. Dazu hat Chevy Stevens einen ungewöhnlichen Erzählstil für einen Thriller gewählt: wir schlüpfen in die Rolle von Annies Therapeutin. In regelmäßigen Sitzungen durchlebt Annie noch einmal in Ausschnitten ihr Martyrium und wir erfahren auch, was aktuell in ihrem Leben passiert. Das war für mich in so fern für einen Thriller ungewohnt, als dass damit die gesamte Handlung auf das Behandlungszimmer der Therapeutin, das wir nur in Annies Rückblicken verlassen, und Annies rein subjektive Sicht der Dinge fixiert wurde. Der Leser muss sich hier also im Prinzip mit einem 400 Seiten starken Monolog zufrieden geben. Aber Annie ist sympathisch, eigenwillig und neigt zu jeder Menge Selbstironie, die bei mir ungeachtet des nicht gerade humorigen Themas immer wieder für Lacher gesorgt hat. Deshalb hat sich die Geschichte für mich sehr kurzweilig lesen lassen. 
 
Und in etwa bis zur Mitte des Buches war auch die Handlung ein heißer Kandidat auf die volle Punktzahl. Denn schnell wird klar, dass Annie kein normales Entführungsopfer mit der obligatorischen Lösegeldforderung ist. Vielmehr war ihre Verschleppung nur der Auftakt zu einem Albtraum, der sich stark auf der psychologischen Ebene abspielt. Ihr Entführer ist weiß Gott nicht pazifistisch veranlagt, aber es geht ihm vor Allem um eines: absolute Kontrolle über "seine" Frau, die er in einer perfekt dafür ausgerichteten Berghütte festhält. Was für psychische und physische Qualen Annie dabei erleiden muss, das bekommen wir sitzungsweise in Häppchen serviert. Zu wissen, dass sie letztendlich irgendwie freigekommen ist, macht es dabei weder erträglicher noch langweiliger, zusehen zu müssen, wie sie sich immer weiter aufgibt. Denn wir haben der Annie in ihren Rückblenden eines voraus- der Leser weiß durch ihre Berichte von aktuellen Ereignissen, was für Spuren all das bei ihr hinterlassen hat. Das beschreibt Chevy Stevens sowohl in der Vergangenheit, als auch der Gegenwart sehr eindringlich. Sie verzichtet auf die großen Worte und verdeutlicht Annies Leid vielmehr durch Taten, Gesten oder Gedanken. 

Alles in allem ging das Ganze also recht schnell in Richtung Psychothriller mit viel Psycho und vergleichsweise wenig Thriller im klassischem Sinne. Mir persönlich hat das sehr gut gefallen, weil es (wenn gut gemacht) absolut mein Genre ist . Die Entführungsgeschichte hat zwar das Rad nicht neu erfunden, hat mich aber trotzdem gefesselt. Hätte die Autorin in diesem Stil weitergemacht, dann wäre das für mich mit ziemlicher Sicherheit ein Fall für die vollen fünf Frösche gewesen. Aber ab der Mitte wurde meiner Meinung nach aus dem Psychothriller ein stark psychologisch angehauchter Krimi. Das an sich hat sich immer noch ganz gut lesen lassen, konnte aber leider an Spannung und Sog nicht mit dem starken Auftakt mithalten. Außerdem passiert einiges, das für mich zu glatt, überzogen oder schlicht unrealistisch war. Es scheint, als hätte die Autorin noch für ganz großes Kino sorgen wollen, dabei hätte dieses Buch das gar nicht nötig gehabt. Und gelungen ist es ihr leider auch nicht.

Mehr Aufmerksamkeit und Kreativität hätte es viel mehr bei den Nebencharakteren benötigt. Dort wurden mir zu viele Klischees erfüllt und bis zum Letzten ausgereizt. Annies Mutter als Drusilla herself ist das beste Beispiel. Mal im Ernst: welche Mutter denkt nach der Heimkehr der verlorenen Tochter primär an die Beschaffenheit ihrer Pasta-Sauce ?!) Das fällt nicht weiter auf, während es hauptsächlich um Annies Leidensgeschichte auf dem Berg geht, aber gerade gegen Ende hin hat mich das Verhalten ihrer Umwelt sehr gestört.

Fazit

Chevy Stevens hat ein großes Talent dafür, auf der psychologischen Ebene anzugreifen. Aber in Sachen Plot wäre gegen Ende hin weniger und dafür tiefer wesentlich mehr gewesen. Deshalb für mich leider nach anfänglicher Begeisterung doch kein Highlight- aber ein Erstlingswerk, das Hoffnung auf eine Steigerung im nächsten Buch "Never Knowing: Endlose Angst" macht.

Inhalt: ♥♥♥♥♥ || Atmosphäre: ♥♥♥♥ || Charaktere: ♥♥♥♥♥
Sprache: ♥♥♥♥ || Aufmachung: ♥♥♥♥♥
Lesespaß: ♥♥♥♥

29.06.2011

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